Freitag, 1. Juli 2011

Strukturierte Prokrastination oder wie man gegen Kipple gewinnt.

Versuch über die Durchführung des Ordnungmachens in einem Single-Haushalt



Prokrastination, Aufschiebeverhalten, Handlungsaufschub ist eine Bezeichnung für das Verhalten von Menschen, die das Erledigen notwendiger, aber ihnen unangenehmer Dinge immer wieder verschieben. siehe:Wikipedia
Zuerst einmal: die Wirklichkeit ist nicht, sie findet statt. Und zwar im Kopf.

Dann: es gibt keine Ordnung, die sich im Gegensatz zu einem Chaos befindet. Es gibt nur Anordnung von Dingen. Manche dieser Anordnungen bezeichnen wir als chaotisch, andere als aufgeräumt. Das ist mehr eine Geschmacksfrage.

Drittens: zuhause schaut es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hat.


Thermodynamik.


Auch wenn Physiklehrerlein Ihnen anhand eines anfangs geordneten und durch Mischen in Unordnung geratenden Kartenspiels den 2. Hauptsatz der Thermodynamik näher bringen wollen: Kinderkacke. Jede Anornung der Karten im Spiel ist gleich wahrscheinlich, nur haben wir zur "sortierten" Reihenfolge emotional eine stärkere Affinität. Das ist alles, und hat nicht das geringste mit der Thermodynamik zu tun. Ich möchte dies daher als emotionale Unordnung bezeichnen.


Ganz anders verhält es sich, wenn sich Gegenstände mit der Zeit in Einzelteile auflösen, sich zerstreuen, dekompostieren (unser Körper mit seinen Haaren, Hautschuppen und diversen Flüssigkeiten eingeschlossen) Dies ist der unumkehrbare Prozess, der in der Thermodynamik als Zeitpfeil aufleuchtet. Die Teile der zerfallenden Entitäten sind zwar auch nur anders angeordnet, aber dadurch ändert sich ihre Funktion: ich möchte dies daher als funktionale Unordnung bezeichnen.
Philip K. Dick nennt das in seinem Roman Do Androids Dream Of Electric Sheep? (verfilmt als Blade Runner, für alle, die sich schämen müssen, das nicht zu wissen) "Kipple":

No one can win against kipple, except temporarily and maybe in one spot, like in my apartment I've sort of created a stasis between the pressure of kipple and nonkipple, for the time being. But eventually I'll die or go away, and then the kipple will again take over. It's a universal principle operating throughout the universe; the entire universe is moving toward a final state of total, absolute kippleization.

Durchführung


Unordnung lässt sich aber von philosophischen Gedanken nicht im geringsten beeindrucken. Also zur Tat.

Erinnern wir uns an Punkt eins, dann wird schnell klar: der Kampf gegen Unordnung ist ein Kampf, der im Kopf stattfindet. Wenn die Einstellung nicht die Richtige ist, wird man ihn nicht gewinnen können:

Vergessen Sie Sätze wie: "Spinnweben sind etwas ganz natürliches" "übertriebene Hygiene erzeugt nur Allergien." (denken Sie: in der Natur haben Spinnen Feinde. Im Haus übernehme ich diesen Part, hehe! Und: Sie kriegen sicher keine Allergie, wenn auf den Tellern in der Spüle nicht der Schimmelpilz wuchert!).

Vergessen Sie diese klitzekleinen Dinge, die irgendwo abgebrochen sind, jetzt am Fußboden liegen und womöglich im Staubsauger landen: Sie werden sie niemals vermissen! Besorgen Sie sich größere Müllsäcke. Seien Sie nicht zärtlich zu den Möbeln und Mauerkanten, nur wer ungestüm an die Unordnung herangeht, hat eine Chance. Denken Sie Feng Shui-mäßig: alle Dinge die Ihnen beim Aufräumen in die Hände kommen und keinen Bezug mehr zu Ihrem jetzigen Leben haben (wie: Hemden, die in den 80ern modern waren, Zeitschriften die noch auf Papier gedruckt sind, Adressbücher vor dem e-mail-Zeitalter...) weg damit. So was zieht einen nur in die Vergangenheit. Machen Sie Platz für die Zukunft.

Vergessen Sie Sparsamkeit. Die Kunst, alte Joghurtbecher, Plastiktüten und Gummiringe aufzuheben, weil man sie irgendwann einmal brauchen könnte, beherrschen heute nur mehr wenige Menschen, und die sind alle über 70. Wenn Sie es versuchen, geben Sie dem Kipple nur unnötig neue Nahrung. Trennen Sie emotionales Ordnungmachen von funktionalem: versuchen Sie nicht gleichzeitig Staub zu wischen und die Bücher im Regal nach Autoren oder Genres zu ordnen. Kommen Sie nicht auf die Idee, Möbel umzustellen oder Bilder umzuhängen, während Sie Staubsaugen: Sie sind nicht multitaskingfähig.


Strukturierte Prokrastination


Nehmen Sie sich nichts vor, außer etwas Unangenehmes!

Dies ist der Königsweg zum Ordnungmachen und eine Delikatesse unter allen Selbstbetrügereien: Nehmen Sie sich etwas Unangenehmes vor (das aber nicht unbedingt genau heute erledigt werden muss). Die Kunst ist es, sich einzureden, dass dieses Unangenehme (das um einen Grad unangenehmer sein muss als das Aufräumen, also: mit einer älteren Verwandten beim Bandagisten ein Weihnachtsgeschenk aussuchen, oder das Formular für die Arbeitnehmer-Veranlagung ausfüllen) wichtiger ist, als die Wohnung in Ordnung zu bringen. (Falls heute der letzte Einkaufstag vor Weihnachten ist, oder die Frist für den Steuerausgleich abläuft, funktioniert das ganze übrigens genau so gut umgekehrt!)


Jetzt wissen Sie also, wie man es schafft, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein, dem jederzeit ein(e) BesucherIn in den eigenen vier Wänden willkommen ist.

...und morgen werde ich auch bei mir zuhause aufräumen, ganz sicher!