Montag, 5. März 2012

gefangen in der Facebook Bubble

Stell dir vor, du sitzt im Kaffeehaus und liest die Tageszeitung. Dann bemerkst du, dass der Typ am Nebentisch die selbe Zeitung liest - aber irgendwas macht dich stutzig: Sieht seine Titelseite nicht anders aus, als deine? 

Tatsächlich: Wo bei dir ein großes Foto von den Unruhen in XY ist, prangt bei ihm ein Portrait der neuesten Oscar-Gewinnerin. Und als du verstohlen die Headlines seines Blattes liest, bemerkst du, dass es ganz andere Artikel sind als bei dir. Abendausgabe? Nein, es handelt sich definitiv um die selbe Ausgabe. Die Lösung erfährst du sogleich aus deiner Zeitung: Die Tageszeitung wurde personalisiert. Jeder bekommt ab sofort nur mehr das zu lesen, was ihn interessiert. Toll, denkst du. Aber dann kommt dir das doch ein wenig unheimlich vor: wer entscheidet denn jetzt, was mich interessiert?  Du erfährst: die Auswahl der Artikel wurde aufgrund deiner bisherigen Lesegewohnheiten erstellt.

Du denkst das ganze weiter: je mehr ich über mein Interessensgebiet lese, desto mehr bekomme ich davon zu sehen. Und was passiert mit den Artikeln, die ich nie lese? Die verschwinden irgendwann. Ich bin also irgendwann nur mehr von lauter "interessanten" Artikeln umgeben, aber was sonst noch auf der Welt passiert, geht an mir vorüber!

Das ganze nennt sich Filter Bubble und das gibt es schon.

Nein, nicht als Konzept in einer Schublade. Das wird schon lange praktiziert. Auf Google, auf Facebook, und wahrscheinlich auch woanders, also auf 90% des Webs.

Vor kurzem sitzen wir wieder - kommunikativ wie wir heutzutage so sind - nebeneinander im Bett, sie mit dem MacBook, ich mit dem iPad und checken parallel unsere Facebook-Seiten. Als ich zu ihr rübersehe, bemerke ich, dass unser gemeinsamer Freund H. wieder etwas interessantes gepostet hat - aber bei mir scheint er nicht auf! Ich hab ihn doch nicht versehentlich blockiert? Oder er mich? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich scrolle zurück: tatsächlich, seit vielen Tagen schon nichts mehr von ihm im Stream, bei ihr jede Menge. Was ist da los?

Die Lösung ist: Facebook hat mithilfe undurchschaubarer Algorithmen berechnet, dass mich mein Freund H. nicht zu interessieren hat. Also braucht es mir keine Aktualisierungen von ihm zu zeigen. Ich nenne das Bevormundung, und das ist etwas, das mir noch nie geschmeckt hat. Ich suche also nach einer Möglichkeit in den Einstellungen, diese Bevormundung abzuschalten. Kurz gesagt: diese Möglichkeit gibt es (praktisch) nicht.

Die von FB für jeden Freund vorgeschlagene Wichtigkeit kann eingesehen/eingestellt werden, wenn man rechts neben einem Posting auf das kleine Symbol [Pfeil nach unten] klickt. Es erscheint nebenstehendes Fenster. Falls hier "Nur wichtige Aktualisierungen" angehakt ist, kann es sein, dass man gar nichts mehr von dem Freund liest - und hier ist der Haken: wenn kein Posting mehr erscheint, kann ich auch nirgends hinklicken. Also wie jetzt? Es muss doch eine Möglichkeit geben, das für alle Freunde in meiner Freundesliste festzulegen? Gibt es, aber die schlechte Nachricht: Man muss es einzeln für jeden erledigen.

Gehe auf deine Profilseite und klicke auf "Freunde", du kriegst deine gesamte Freundesliste zu sehen. Wenn du mit der Maus über einen Namen fährst, erscheint ein kleines Fenster und in diesem rechts unten die Schaltfläche "Abonniert". bei überstreichen dieser geht wiederum ein Fenster auf und jetzt kannst du einstellen, was du von dem Freund angezeigt bekommen willst.

Was ich bis heute aber nicht weiß: Bleibt diese Einstellung für immer - oder entscheidet Facebook irgendwann wieder selbständig, dass es die Prioritäten ändern muss?

Für manche Menschen mag dieser Filter-Algorithmus von Facebook ganz praktisch erscheinen, denn schließlich will man ja nicht den ganzen Müll lesen, den die Leute so posten - aber halt: Müll? Wollen wir wirklich eine derartige Ausdrucksweise für etwas verwenden, das andere in ihrem Mitteilungsbedürfnis ganz gut finden? Denn folgendes passiert, wenn wir den Facebook Filter walten lassen: angenommen, ich habe auch Freunde in meiner Liste, die andere weltanschauliche Positionen vertreten als ich und die Freunde, mit denen ich öfters kommuniziere. Wenn diese Personen mit der Zeit nicht mehr in meinem Stream vorkommen, finde ich mich irgendwann in der "Bubble" wieder, in der nur mehr Leute mit den gleichen Ansichten posten. Es findet kein Austausch mit Andersdenkenden mehr statt, vielleicht wiegt man sich auch im Glauben, alle Freunde denken genau so wie man selber, oder die Kritiker seien verstummt. Ob das gut ist, mag jeder selber beurteilen

Was Zeitungen betrifft, stelle ich mir die Welt jedenfalls so vor: ausgebildete Redakteure stellen eine Zeitung so zusammen, dass sich jeder das heraussuchen kann, was er lesen will, darüber hinaus aber die Möglichkeit hat, auch einmal Dinge zu lesen, die er bisher noch nicht kannte (das nennt man gescheiter werden!)

Und zu Facebook: Wenn ich mich schon in die Fänge dieser Community begebe, möchte ich wenigstens selbst entscheiden können, welche Leute mich interessieren und welche nicht (als nächsten Schritt fügt FB Freunde hinzu, die zu mir passen und löscht andere, mit denen ich zu wenig gemeinsam habe?)

Passende Links zu diesem Thema:

http://en.wikipedia.org/wiki/Filter_bubble
http://www.thefilterbubble.com/
http://www.thefilterbubble.com/ted-talk

Sonntag, 4. März 2012

der Computer entwächst den Halbfachleuten

Als ich - als technikinteressierter Schüler - von einer neuen Erfindung, dem "PC" hörte, lief ich sogleich mit meinem Ersparten ins nächste Elektrogeschäft und fragte nach, ob sie denn soetwas hätten. "Personal Computer?" fragte der Verkäufer stirnrunzelnd und betonte das Personal auf dem a. "Hab ich noch nie gehört."

Eigentlich wusste ich ja selbst nicht so recht, was ich damit anfangen würde. Ich dachte, so ein Computer würde mir in erster Linie die Mathematik-Hausübungen lösen. Schließlich sagte man ja auch "Elektronen-Rechner" dazu. Und vielleicht würde ich darauf schreiben anstatt auf der alten Urania-Schreibmaschine aus den 20er-Jahren, die mir ein Großonkel vererbt hatte.

Zehn Jahre später arbeitete ich dann zum ersten Mal mit etwas, das hieß "Windows 3.1" und das war lustig, denn da waren Fensterchen, die man öffnen, schließen und größer und kleiner machen konnte - und das alles mit einem halben Entenei an der Schnur - das man "Maus" nannte. Das Konzept, das diese und ähnliche GUIs (Graphic User Interfaces) verfolgten, war von Anfang an, den "Schreibtisch" zu imitieren: So wie Blätter auf der Tischplatte übereinander geschoben werden konnten, konnte man die Fenster oder Arbeitsblätter der Programme stapeln. Ziel war letztendlich das papierlose Büro (ein Plan, der, wie wir heute wissen, wenn wir die gelben Post-it-Zettelchen am Bildschirmrand betrachten, gründlich gescheitert ist)

Fast 20 Jahre lang hat sich eigentlich nichts daran geändert, wie wir mit Computern umgehen. Tasten, Maus, Icons, Buttons, Anfasser, Wir sind gewohnt, dass alles im Computer Dateien sind, dass diese Endungen wie .exe .jpg oder .doc haben und dass alle diese Dateien irgendwie in eine Ordnerstruktur eingebunden sind und dass Computer unwirsch reagieren, wenn sie die Erweiterung nicht kennen.

Und wir wissen, dass wir einiges kaputt machen können, wenn wir die falsche Datei löschen oder verschieben. Oder wenn wir uns nicht genau an die Anweisungen einer Installationsroutine halten, oder einen Stecker zu früh rausziehen. Irgendwie sind viele von uns zu Halbfachleuten geworden. Wir haben Festplatten partitioniert und Windows neu aufgesetzt, wir haben komplizierte Programmpakete installiert und Netzwerke eingerichtet.

Genau das geht nun zu Ende.

Zwanzig Jahre lang arbeiteten wir wie Hausfrauen und -männer, die um einen Staubsauger zu bedienen, halbwegs eine Ahnung von Spannungen, Stromstärken, Drehmomenten und vom Cosinus-Phi des Elektromotors haben mussten. Ohne Zweifel ist es bei der Hausarbeit für uns alle von Vorteil, dass wir einfach nur wissen müssen, wo der Schalter ist. Den Rest überlassen wir gern den Fachleuten.

Obwohl ich nun für meinen Teil gern in den Tiefen der Betriebssysteme herumgeschraubt habe (und diese sehr häufig wieder neu aufsetzen musste), bin ich der festen Überzeugung, dass ein Computer (oder wie auch immer man das Ding nennt, mit dem man arbeitet) genau so einfach zu bedienen sein soll wie ein Staubsauger. Einschalten und das tun was man tun will.

Das was Apple und Google  und zuletzt auch Microsoft auf ihren Telefonen und Tablets vorführen, geht nun - endlich - genau in diese Richtung. Obwohl natürlich auch auf diesen Geräten Dateien in Ordnern im Hintergrund abgelegt sind (abgesehen davon, dass auf einer tieferen Ebene gar keine Ordner existieren - aber das führt jetzt wirklich zu weit), bekomme ich diese praktisch nie zu Gesicht. Brauche ich auch nicht. Und wenn ich die Bildchen hin und her schiebe, kann es schlimmstenfalls sein, dass ich Fotos oder Musikstücke ins Nirwana schicke, aber ich kann nichts im System kaputt machen. 

Ich bekomme keine Meldungsfenster zu sehen, die mich fragen, ob ich dies oder jenes auch wirklich, wirklich will, weil es zu bösen schweren Fehlfunktionen führen kann, oder welche, die mir nahelegen,  mich mit dem Systemadministrator meiner Wahl in Verbindung zu setzen. Ich werde nicht aufgefordert, irgendwelche Treiber zu aktualisieren und ich bekomme nicht zu lesen: sie haben die Lautstärkeeinstellung ihres Telefons geändert, starten sie das System neu um diese Änderung abzuschließen!

Ich glaube, mit den neuen Benutzeroberflächen, wie sie iOS, Android und Windows 8 präsentieren, sind wir nun am Weg in die Post-PC-Ära angelangt. In den einschlägigen Rezensionen neuer Versionen wird längst nicht mehr über Hardware-Kompatibilität gesprochen oder über die Ressourcen, die das Ding braucht, sondern darüber, ob Statusleisten ein- oder ausgeblendet sind und wie man die Widgets am Homescreen anordnen kann. Es ist sogar immer mehr Nebensache, auf welchem Gerät etwas läuft, wichtig ist: wie benutzerfreundlich ist der Umgang mit den Applikationen.

Wer auf der Strecke bleibt sind wir Halbfachleute. Vielleicht wird in zehn Jahren niemand mehr (außer den richtigen Fachleuten) wissen, was eine Dateierweiterung ist, oder dass man die Registry defragmentieren musste; dass man beim Hochfahren des PCs mit F8 ins BIOS kam - und hoffentlich wird niemand mehr Strg-Alt-Entf drücken müssen...